Physiologische Grundlagen des Lesens
Jedem ist klar, dass beim Lesen Augenbewegungen durchgeführt werden müssen. Es ist uns jedoch nicht automatisch bewusst, dass der Text mit ruckförmigen Augenbewegungen erfasst wird. Der äußerlich sichtbare Lesevorgang ist eine Folge vieler einzelner Sakkaden. Der anschließende „innere“ Lesevorgang erfordert zum einen die Dekodierung des visuellen Stimulus und zum anderen eine komplexe lexikalische, syntaktische, semantische und kontextuelle Verarbeitung zum Verständnis des Textes.
Arten der Augenbewegung
Grundsätzlich lassen sich Augenbewegungen in schnelle und langsame unterteilen. Zu den schnellen zählen die Sakkaden sowie die schnelle Phase des vestibulären und des optokinetischen Nystagmus. Alle anderen Augenbewegungen sind langsam. Die phylogenetisch älteste Augenbewegung ist der vestibulookuläre Reflex (VOR, vestibuläre Kompensationsbewegungen). Er ist auch schon bei primitiven Fischen zu finden und dient dazu, ein Verschwimmen des Bildes während der Kopfbewegung zu verhindern. Bei größeren Auslenkungen wird das kompensatorische Augengleiten durch rasche Rückstellbewegungen unterbrochen. Die so entstehende Bewegungsfolge heißt vestibulärer Nystagmus (VN). Der VOR wird durch das optokinetische System ergänzt. Es stabilisiert bei großflächigen, bewegten visuellen Reizen und stationärem Kopf das Bild der Umwelt durch langsame, kompensatorische Augenbewegungen. Bewegungen optokinetischen Ursprungs (OKN = optokinetischer Nystagmus) sind unabhängig vom Vorhandensein einer Fovea. Bei vorhandener Fovea ist eine isolierte Untersuchung dieser Bewegungsart kaum möglich. Langsame Folgebewegungen (smooth pursuit) bilden bewegte Objekte auf der Stelle des schärfsten Sehens ab. Sie sind bei Tieren ohne Fovea nicht vorhanden. Im Gegensatz zu allen anderen Augenbewegungen sind Vergenzbewegungen diskonjugiert. Sie können sowohl konvergent als auch divergent sein. Bei beidäugigem Sehen ermöglichen sie die passende Konvergenzstellung beider Augen für verschiedene Entfernungen und Blickrichtungen.
Innervation der Sakkaden
Sakkaden sind schnelle, konjugierte Augenbewegungen. Sie dienen als Blickzielbewegung dazu, die Fovea centralis möglichst schnell auf Objekte besonderen Interesses zu richten und werden durch verschiedene Mechanismen ausgelöst. Vom vestibulären oder vom optokinetischen System (schnelle Phase des vestibulären bzw. des optokinetischen Nystagmus) werden sie unwillkürlich ausgelöst. Außerdem können Sakkaden willkürlich durchgeführt werden. Als „Greifreflex“ unseres visuellen System dienen sie der fovealen Erfassung interessierender Objekte.
Zur Durchführung einer Sakkade ist es notwendig, dass das Auge rasch die neue Position erreicht und in dieser anschließend bewegungslos verbleibt. Um dies zu ermöglichen, müssen die Motoneurone der Augenmuskeln zwei verschiedene Kommandos erhalten:
- Ein Augengeschwindigkeitskommando, genannt Pulsinnervation für die Sakkade. Stärke und Dauer der Entladung bestimmen die Sakkadenamplitude.
- Ein Augenpositionskommando, genannt Stepinnervation für die Beibehaltung der neuen Position.
Die Pulsinnervation ist eine Periode nahezu maximaler neuronaler Aktivität, welche die hohe Geschwindigkeit der Sakkade trotz der viskösen Widerstände in der Orbita ermöglicht. Die Dauer der phasischen Pulsinnervation ist etwa nur halb so lang wie die Sakkade selber. Bei der Stepinnervation handelt es sich dagegen um eine tonische Aktivität, welche die elastischen Kräfte ausgleicht, die das Auge nach Ende des Pulses wieder in die Richtung der Ausgangsposition zurückzwingen würden.
Große Blickzielbewegungen erreichen eine Geschwindigkeit bis zu 500°/s. Als Spitzengeschwindigkeit können 700°/s erreicht werden. Der vordere Pol des Auges, der Hornhautscheitel, erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 0,5 Stundenkilometern. Dies mag einem zunächst nicht allzu schnell erscheinen. Man muss aber bedenken, dass das Auge nach Erreichen der Geschwindigkeit sofort wieder „erschütterungsfrei“ abgebremst werden muss. Sakkaden, die aus oder in der Nähe der Ruhestellung erfolgen, sind zentrifugal. Zentripetale Sakkaden beginnen mit einer exzentrischen Augenposition und zielen in Richtung der Ruhestellung. Sie sind geringfügig schneller und kürzer als zentrifugale Sakkaden. Bei größeren Amplituden kommt es regelmäßig zu einer vollständigen Deinnervation der antagonistischen Augenmuskeln. Abduktionssakkaden haben gegenüber Adduktionssakkaden eine geringfügig höhere Maximalgeschwindigkeit und dauern weniger lang.
Latenz und Hypometrie der Sakkaden
Die durchschnittliche Zeit zwischen der Positionsänderung des Blickziels und dem Beginn der Sakkade beträgt 200 – 250 ms. Die Latenz setzt sich aus Reaktionszeit (Verarbeitung der veränderten Wahrnehmung), Entscheidungszeit (Entscheidung, ob eine Sakkade durchgeführt werden soll) und Verarbeitungszeit (neuronale Übertragung) zusammen. Die kürzestmögliche Latenz beträgt ca. 80 ms, was der reinen Verarbeitungszeit entspricht. Visuelle Informationen, die erst weniger als 80 ms vor Sakkadenbeginn entstehen, können für die Herstellung dieser Sakkade nicht mehr verwendet werden. Gelegentlich beobachtet man Sakkaden mit ca. 130 ms Latenz, sog. Expressakkaden. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um einen vorweggenommenen Entscheidungsprozeß. Gleiches trifft für die Latenz von Korrekturbewegungen zu. Eine Sakkade selber hat eine Mindestdauer von 20 – 30 ms. Die Dauer nimmt in Abhängigkeit von der Amplitude weitgehend linear zu.
Bei dem Phänomen des „dynamic overshoot“ handelt es sich um eine schnelle Rückstellbewegung ohne Latenz am Ende einer Sakkade. Möglicherweise wird er durch eine weitere Innervation, nämlich einen zu starken Bremsimpuls, ausgelöst.
Hypometrie ist bis zu einem gewissen Grad physiologisch. Insbesondere bei zentrifugalen Sakkaden sowie bei Sakkaden über mehr als 10° kommt es häufig zu einem „Undershoot“ von etwa 90% („gain“ = 0,9). Diese Hypometrie ist vermutlich keine unerwünschte Ungenauigkeit, sondern eine ökonomische Strategie des Sakkadensystems. Wenn die Richtung des Fehlers bereits bekannt ist, kann die Korrektursakkade schneller zur Ausführung kommen, weil die Entscheidungszeit verkürzt ist. Hierdurch wird die erwünschte Augenposition in der Regel eher erreicht, als wenn gleich – mit einer hohen Fehlerquote zu beiden Seiten – versucht würde, treffgenaue Sakkaden durchzuführen.
Äußerer Lesevorgang
Während des Lesevorgangs wird der feststehende Text mit den Augen durch Blicksakkaden erfasst. Zwischen den Sakkaden kommt es zu einer Foveation des visuellen Stimulus. Bei Normalpersonen wird nur ein geringer Anteil der Zeit, etwa 10%, für die sakkadischen Augenbewegungen beansprucht. Die Dauer der einzelnen Sakkaden beträgt 20-30 msec. Fixationen dauern um 220 msec. Überschlagsmäßig läßt sich hieraus eine Lesegeschwindigkeit von 240 Wörtern pro Minute errechnen unter der Annahme, dass mit jeder Sakkade ein Wort erfasst wird. Dieser Wert stimmt mit den tatsächlich gefundenen Durchschnittswerten bei Normalpersonen überein.
Progressive Sakkaden umfassen im Durchschnitt etwa 7 Buchstaben. Gelegentlich finden sich regressive Sakkaden. Sie haben eine kleinere Durchschnittsgröße von 3-4 Buchstaben. Mit Hilfe der linguistischen Erfahrung und der Kenntnis des Kontextes können auch größere Texteinheiten mit einer Fixation erfasst werden (Perzeptionsspanne), die sich nicht mehr vollständig in der Fovea abbilden lassen. Es besteht jedoch kein direkter Zusammenhang mit der Sakkadengröße. Der Zielort einer jeweils neuen Sakkade liegt meist nicht am Anfang eines Wortes sondern eher in der Mitte eines Wortes („center of gravity phenomen“).
Gesichtsfeld
Da während einer Fixation stets eine ganze Gruppe von Buchstaben erfasst wird, ist ein Lesegesichtsfeld von einer bestimmten Mindestausdehnung erforderlich. Es sind etwa 1,5° zur linken und 2° zur rechten Seite vom Fixationsort erforderlich. Andere Begriff hierfür sind „Wort-Identifikations-Spanne“ und „visuelle Spanne“. Gemeint ist der Textbereich, der ohne linguistische Kenntnis erfasst werden kann. Die bereits erwähnte Perzeptionsspanne umfasst im Gegensatz hierzu den Bereich, der mit Hilfe der normalerweise vorhandenen linguistischen Kenntnis aufgenommen werden kann. Sie kann bei geübten Lesern bis 5° in Leserichtung betragen.
Zentrale Verarbeitung
Das zum Lesen benützte Netzhautareal umfasst nur wenige Quadratmillimeter. Die zentralen 10° des Gesichtfeldes, die nur etwa 2% des gesamten Gesichtsfeldes ausmachen, nehmen mehr als 50% der primären Sehrinde, dem Okzipitallappen des Großhirns, in Anspruch. Der in der primären Sehrinde registrierte Seheindruck wird weiter an das „Lesezentrum“, den Gyrus angularis, geleitet, wo die visuelle Wortform in eine lautliche transponiert wird. Diese wird dann vom sensorischen Sprachzentrum (Wernicke-Region) verarbeitet. Soll das gelesene Wort laut gesprochen werden, wir die Information an das motorische Sprachzentrum (Broca-Region) weitergeleitet, wo ein Artikulationsprogramm erstellt wird, das über den motorischen Kortex zu einer Aktivierung der Sprechmuskulatur führt.
Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche, LRS, Dyslexie)
Legasthenie, die Schwäche im Erlernen des Lesens und orthographischen Schreibens bei vergleichsweise durchschnittlicher oder sogar guter Allgemeinbegabung des Kindes, äußert sich vor allem in der Umstellung und Verwechslung einzelner Buchstaben oder ganzer Wortteile. Fünf Prozent der Bevölkerung leiden an dieser Störung. Jungen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen. Diagnose und Behandlung sind dadurch erschwert, dass es sich nicht um ein einheitliches Syndrom handelt. Eine Entwicklungsverzögerung im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens findet sich insgesamt bei über 10% der Grundschüler (Legasthenie und andere Störungen). Die Genese der Legasthenie ist noch nicht sicher geklärt. Man nimmt eine Informationsverarbeitungsstörung an. Es gibt Hinweise auf eine Störung im Bereich des visuellen und auditiven magnozellulären Systems.
Definition der Legasthenie |
Umschriebene Entwicklungsstörung des Lesens und Rechtschreibens, trotz normaler Intelligenz, angemessenen Schulunterrichts und fehlender neurologischer Erkrankung oder sensorische Defizite |
Stufen des Schriftspracherwerbs |
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Lesestörungen bei Legasthenie |
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Rechtschreibstörungen bei Legasthenie |
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Unterschiedlich verteilte Begleitmerkmale führen dazu, dass sich Untergruppen von Legasthenikern ergeben, nämlich solche mit vorwiegend akustisch-sprachlicher LRS, und solche mit mehr visuell-räumlicher LRS.
Die Folgen des ständigen Misserfolgs in der Schule führen häufig zu innerschulischen und innerfamiliären Konflikten. Psychosomatische Leiden und Störungen des Sozialverhaltens können die Folge sein.
Die spezifische Legastheniediagnostik erfolgt durch standarisierte psychologische Testverfahren:
- Leseprüfung
- Rechtschreibprüfung
- Intelligenztest
- Testverfahren zum Ausschluss einer Aufmerksamkeitsstörung (ADS).
Es müssen zusätzliche Erkrankungen ausgeschlossen oder behandelt werden (Augen- und Ohrenerkrankungen, ggf. auch neurologische Erkrankungen, wie z.B. feinmotorische Störungen sowie reaktive Verhaltensauffälligkeiten).
Für die Eltern ist es wichtig ist, andere Fähigkeiten des Kindes zu erkennen und zu fördern, damit es ein ausreichendes Selbstbewusstsein entwickeln kann.
Um den genannten Folgeschäden vorbeugen zu können, ist eine frühe Diagnosestellung wichtig. Die Schulen sind verpflichtet, bei einer umschriebenen Legasthenie Stütz- und Förderunterricht anzubieten.
Selbsthilfeorganisation Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie www.bvl-legasthenie.de |
Okuläre (augenbedingte) Lesestörung
Es gibt bei der Legasthenie sowohl ophthalmologische Begleiterscheinungen (Refraktionsanomalie, Strabismus, etc.) als auch funktionelle Sehstörungen als Folge der schulischen Überforderung, die zusätzlich, aber nicht ursächlich bei der LRS auftreten. Es gibt aber auch augenbedingte Ursachen einer Lesestörung, die dann keine Legasthenie ist. Aus diesem Grund gehört eine kompetente augenärztlich Untersuchung bei jedem Kind mit Verdacht auf Legasthenie zum Pflichtprogramm.
Diagnostik
Unserer eigenen Erfahrung nach führen am häufigsten Störungen der Akkommodation zu Leseproblemen. Heterophorien/Winkelfelhlsichtigkeiten gehen dagegen selten mit Leseproblemen einher, zumindest solange keine an die Akkommodation gebundenen Kompensationsmechanismen auftreten. Störungen der Akkommodation können leicht übersehen werden, da die kurzzeitige Messung der Akkommodationsfähigkeit ungeeignet ist, etwas über die Fähigkeit auszusagen, länger akkommodieren zu können. Als Suchtest hat sich das probatorische Vorhalten einer Nahkorrektion der Stärke +1,0 dpt bis +1,5 dpt bewährt. Im Gegensatz zu Patienten mit Akkommodationsproblemen geben gesunde Kinder hierbei fast immer an, ohne Nahaddition angenehmer bzw. besser lesen zu können.
Grundsätzlich sollte bei allen Lesestörungen versucht werden, schon kleine Refraktionsanomalien, falls die Kinder dies akzeptieren, durch Brillen zu korrigieren, um eine möglichst scharfe foveale Abbildung, also eine hohe Sehschärfe zu erhalten. Diesen Ausgleich auch geringer Refraktionsanomalien (selbst 0,5 dpt) – besonders bei Astigmatismus – hat sich bewährt.
Therapie
Bei Akkommodationsschwäche (Hypoakkommodation), aber auch bei Esophorien mit akkommodativer Komponente im Nahbereich sind Bifokal- oder Gleitsichtbrillen erforderlich. Wichtig ist ein großes Nahsegment, um auch große Blickbewegungen zu ermöglichen. Wenn tatsächlich Hypoakkommodation vorliegt, wird die Brille gern (für die Naharbeit) getragen. Es wird sogar versucht, das Nahteil bei Hochhalten des Textes zu benutzen.
Prismenbrillen sind erforderlich bei Konvergenzschwäche und bei Exophorien, die über die akkommodative Konvergenz kompensiert werden. Falls erforderlich sind bei kleinen Brillengestellen Stärken bis zu 5 oder 7 Prismendioptrien (cm/m) je Glas möglich. Häufig berichten die Kinder mit Prismenbrillen, dass der Text jetzt größer sei und deutlicher gesehen werden könne.
Selbstverständlich ist für alle Legastheniker die optimale Behandlung von Refraktions- und Motilitätsproblemen ein wichtiges Ziel. Die von einigen Autoren stark propagierte generelle orthoptische Behandlung der Legasthenie mit Okklusion oder Prismen ist aber nicht sinnvoll.
Kleine Hilfen
Sind augenbedingte Störungen ausgeschlossen oder korrigiert, können kleine Hilfen das Lesen und Schreiben erleichtern:
- Hilfreich sind möglichst gut gedruckte Arbeitsvorlagen mit kontastreichem Druck und großer Schrift.
- Das Lesen durch eine Schablone, die nur das zu lesende Wort freigibt, kann der besseren Konzentration auf das fixierte Wort dienen. Bewährt haben sich halbtransparente Folien, die den abgedeckten Text noch erkennbar lassen. Die Schablone kann leicht aus einer Farbfolie, die im Schreibwarenhandel erhältlich ist, erstellt werden.
- Zusätzliche Motivation kann das Lesen mit Lesestablupe bringen. Die Lupe vergrößert nicht nur, sie erleichtert gleichzeitig auch das Verbleiben in der Zeile. Das Schriftbild wird so abgebildet, dass eine Buchzeile in der Höhe gestreckt erscheint, während die Breite der Zeile unverändert bleibt. Das Modell 2606 der Fa. Eschenbach ist 12 cm lang und das Modell 2608 25 cm lang. Beide haben eine rote Führungslinie.
- Ein ergonomischer Arbeitsplatz mit guter Beleuchtung sollte selbstverständlich sein.
Alternative Behandlungsformen
Es gibt es verschiedene wissenschaftlich nicht gesicherte Therapien, die auf eine Besserung okulärer Leistungen abzielen.
- MKH-Methodik: die Meß- und Korrektionsmethodik nach Haase stellt aufgrund verschiedener Untersuchungen mit allerdings nur einem Gerät Winkelfehlsichtigkeiten fest und strebt eine sog. Vollkorrektion mit Prismengläsern an. Die Methodik ist wissenschaftlich in vielen Fällen anfechtbar und kann aufgrund der Einseitigkeit der Diagnostik zu Falschbehandlungen führen.
- Blicktraining: Durch ein Training der willentlichen Blicksteuerung sollen vor allem die beobachteten Schwierigkeiten bei Blick-Ziel-Bewegungen gegen die spontane Blickrichtung (Antisakkaden) verbessert werden.
- Irlen-Gläser: Durch Herausfiltern störender Anteile des Lichtspektrums mit farbigen Gläsern und Folien wird die Überstrahlung des schwarzen Druckbildes durch das weiße Papier reduziert.
- Rasterbrille: Durch schwarze Brillegläser, in denen sich alle 3 mm ein kleines Loch zum Durchsehen findet, soll die Mikrosakkadentätigkeit der Augen angeregt werden. Der Ansatz entbehrt jeder Wissenschaftlichkeit und fügt den Kindern weitere leidvolle Erfahrungen zu.
Leseprobleme bei speziellen Augenerkrankungen
Amblyopie
Die Anatomie der zentralen Netzhaut mit der höchsten Zapfendichte in der Fovea bedingt es, dass der Fixationsort möglichst genau gewählt werden muss, um eine hohe Auflösung kleiner Buchstaben zu ermöglichen. Es gibt jedoch noch einen zweiten Faktor, der die Wahrnehmung nahe des Fixationsorts einschränkt. Details eines Stimulus werden schwieriger erkennbar, wenn sie von anderem Material umgeben sind, z.B. Balken um einen Landolt-Ring. Diese laterale Interaktion, auch Kontureninteraktion genannt, findet wahrscheinlich auf Netzhautniveau und den niedrigen Ebenen des Sehsystems statt und nimmt bei größeren Exzentrizitäten zu.
Bevor eine neuronal verursachte Kontureninteraktion angenommen wird, müssen durch Ametropie ausgelöste optische Trennschwierigkeiten ausgeschlossen sein. Häufig kommt bei Amblyopen hinzu, dass eine Störung der relativen Lokalisation dazu führt, dass nebeneinanderstehende Sehzeichen durcheinander lokalisiert werden.
Nystagmus
Nystagmiker sind bei der Erfassung des visuellen Stimulus, d.h. des Textes, durch die unwillkürlichen Augenbewegungen beeinträchtigt. Ihre Leseleistung hängt entscheidend ab von den möglichen Foveationszeiten, der Verlangsamung der Bildbewegung auf der Retina während der langsamen Phasen und der Wiederholbarkeit der Foveation, bzw. der Metrie der Sakkaden.
Innerhalb einer Darbietungszeit eines Wortes von 50 msec ist es möglich die visuelle Information aufzunehmen. Die bei Normalpersonen typischerweise anzutreffende Fixationsdauer beträgt jedoch ca. 220 msec. Es wurde vermutet, daß es zu diesen zunächst unnötig lang erscheinenden Fixationsdauern durch Verzögerungen aufgrund sog. sakkadischer Suppression kommt. Durch diese wird die Sichtbarkeit eines Stimulus unmittelbar vor, während und 80-100 msec nach einer Sakkade supprimiert. Andererseits entspricht die Latenz der Sakkaden in etwa der Latenz für die kognitive Verarbeitung des Textes. Diese beträgt ebenfalls bei Normalpersonen um 175 msec. Da sakkadische Suppression bisher nur in Experimenten mit einer Stimulusdarbietungszeit an der Schwelle der Erkennbarkeit nachgewiesen wurde und nicht bei überschwelligen Buchstaben-Identifikations-Aufgaben, ist der Grund für die Latenz der Sakkaden wohl eher in der kognitiven Verarbeitungszeit zu sehen.